Ende Juli 2018 hat die HEUBECK AG die neuen Richttafeln RT 2018 G veröffentlicht. Diese Sterbetafeln lösen die bislang von vielen Bilanzierenden bzw. deren Aktuaren der Bewertung von Altersversorgungsverpflichtungen (und vergleichbaren langfristig fälligen Verpflichtungen) zugrunde gelegten Richttafeln RT 2005 G ab. Die neuen Heubeck-Richttafeln haben keine Gesetzeskraft und sehen daher auch keinen Zeitpunkt für ihr Inkrafttreten vor.
Sie beinhalten neue Schätzwerte auf Basis von aktualisierten und präzisierten statistischen Daten. Die langfristige Entwicklung der Lebenserwartung wurde dabei anhand der auf Basis der Volkszählungen 1987 und 2011 (Zensus 2011) erstellten Sterbetafeln beurteilt. Die statistischen Auswertungen für die Jahre nach der letzten Volkszählung (Mikrozensus) werden für die kurzfristige Veränderung der Lebenserwartung herangezogen. Die Lebenserwartung in Deutschland steigt aktuell nicht mehr so schnell wie in der Vergangenheit. Während diese im Alter 60 zwischen den Volkszählungen 1987 und 2011 für Männer im Durchschnitt jedes Jahr um knapp zwei Monate und für Frauen um gut zweieinhalb Monate zugenommen hat, ist der Zuwachs in den vergangenen vier Jahren für beide Geschlechter einheitlich auf durchschnittlich weniger als einen Monat pro Jahr geschrumpft. Da es aus Sicht der HEUBECK AG jedoch noch zu früh ist, hieraus eine dauerhafte Abschwächung des Trends abzuleiten, habe man sich entschieden, den Trend nur vorübergehend abzusenken und in die neuen Richttafeln einzuarbeiten. Tendenziell ist aufgrund der im Durchschnitt steigenden Lebenserwartung mit einem Anstieg der Altersvorsorgeverpflichtungen zu rechnen.
Das BMF beschäftigt sich derzeit mit den neuen Richttafeln im Hinblick auf deren Berücksichtigung für ertragsteuerliche Zwecke. Dem Vernehmen nach wird das BMF bis Oktober 2018 – wie bereits in der Vergangenheit – in einem BMF-Schreiben Stellung dazu nehmen, ob bzw. ab wann die neuen Richttafeln in der Steuerbilanz bei der Bewertung von Pensionsverpflichtungen nach § 6a EStG zugrunde zu legen sind.
Der Hauptfachausschuss des Instituts der Wirtschaftsprüfer (HFA) hat die Auswirkungen der Veröffentlichung der neuen Richttafeln RT 2018 G auf HGB- und IFRS-Abschlüsse erörtert.
Für die Bewertung von Altersversorgungsverpflichtungen sind im HGB-Abschluss versicherungsmathematische Annahmen im Hinblick auf die Lebenserwartung, die Invalidisierungs- und die Verheiratungswahrscheinlichkeit etc. zu treffen. Die damit zum Einsatz gelangenden Schätzwerte können Tabellenwerken entnommen werden, sofern dies einer vernünftigen kaufmännischen Beurteilung (§ 253 Abs. 1 Satz 2 HGB) des Unternehmens entspricht. Hiervon wird regelmäßig ausgegangen, wenn die Tabellenwerke allgemein anerkannt sind. Nach Auffassung des HFA sind die neuen Richttafeln somit für Jahres- und Konzernabschlüsse anzuwenden, sobald sie allgemein anerkannt sind und bessere (i.S.v. besser die „tatsächlichen“ Verhältnisse widerspiegelnde) Schätzwerte darstellen als die bislang von den Unternehmen zugrunde gelegten Tabellenwerke. Dabei stellt die Anerkennung durch das BMF für ertragsteuerliche Zwecke – neben der Validierung und Implementierung der neuen Richttafeln durch die Rechnungslegungspraxis, insb. die Aktuare – einen Indikator für die allgemeine Anerkennung der neuen Richttafeln dar. Für den Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung der neuen Richttafeln sind nach Auffassung des HFA einzubeziehen:
- der Stichtag des Abschlusses,
- die Validierung/Implementierung der neuen Richttafeln durch die Rechnungslegungspraxis,
- die Veröffentlichung des zu erwartenden BMF-Schreibens sowie dessen Inhalt -
vor allem im Hinblick auf die Anwendung der neuen Richttafeln.
Sofern sich aus der erstmaligen Anwendung der neuen Richttafeln Erfolgswirkungen im entsprechenden HGB-Abschluss ergeben, sind diese sofort in voller Höhe zu erfassen, d.h. ohne Verteilung der Erfolgswirkungen über einen Übergangszeitraum im Fall der Erhöhung als Personalaufwand bzw. im Fall der Reduzierung als sonstiger betrieblicher Ertrag. Entsprechende Angabepflichten im Anhang sind zu beachten.
Auch nach IFRS sind im Rahmen der Ermittlung der Nettoschuld (bzw. des Vermögenswerts) aus leistungsorientierten Versorgungsplänen für Geschäftsjahresabschlüsse versicherungsmathematische Annahmen zu treffen, die demografische Annahmen im Hinblick auf die Lebenserwartung, die Invalidisierungswahrscheinlichkeit etc. umfassen. Diese Annahmen müssen die bestmögliche Schätzung („best estimate“) des Unternehmens darstellen und dürfen bspw. unter Verwendung von Standardsterbetafeln ermittelt werden.
Aus Sicht des HFA begründen die Richttafeln RT 2018 G erst dann für Rechnungslegungszwecke nach IFRS neue Standardsterbetafeln, wenn eine abschließende qualitative Überprüfung und Implementierung durch die Rechnungslegungspraxis erfolgt ist. Auch die Anerkennung durch das BMF ist dabei ein Indikator für die Eignung der neuen Richttafeln, den Bilanzierenden künftig als Basis für eine bestmögliche Schätzung versicherungsmathematischer Annahmen zu dienen. Vor diesem Hintergrund hält der HFA eine analoge Anwendung der obigen Ausführungen zur erstmaligen Verwendung der neuen Richttafeln in HGB-Abschlüssen für sachgerecht.
Die sich bei erstmaliger Anwendung der neuen Richttafeln infolge der Änderung von versicherungsmathematischen Annahmen ergebenden Gewinne oder Verluste sind im sonstigen Ergebnis zu erfassen, wobei versicherungsmathematische Gewinne und Verluste, die aus Veränderungen bei den demografischen Annahmen entstehen, separat in der Überleitung der Eröffnungs- auf die Schlusssalden der Nettoschuld aus leistungsorientierten Versorgungsplänen anzugeben sind. Neben weiteren Angabepflichten in den Notes ist auch zu beachten, dass entsprechende Angaben erfolgen müssen, sofern eine Schätzungsänderung als wesentlich anzusehen ist.
UPDATE:
Am 25.09.2018 hat die HEUBECK AG im Rahmen einer Pressemitteilung bekanntgegeben, dass die erst jüngst (20.07.2018) veröffentlichten Richttafeln RT 2018 G aufgrund von "Inkonsistenzen in Bezug auf die verwendeten Datengrundlagen" einer Anpassung bedürfen. Gemäß der Pressemitteilung wird der Trend zur Erhöhung der Lebenserwartung in den veröffentlichten Tafeln überschätzt. Die Veröffentlichung der angepassten Tafeln wird innerhalb eines Zeitraums von zwei Wochen erwartet.
Durch das nun bekannt gewordene Erfordernis einer Anpassung der Richttafeln RT 2018 G wird sich der Prozess der Anerkennung dieser Tafeln durch die Aktuare und das BMF verzögern.
Bild: S. Hofschläger / pixelio