Ertragsteuern auf Sanierungsgewinne, die durch Schuldenerlass zum Zweck der Sanierung entstehen, hat die Finanzverwaltung bisher auf Basis des sogenannten Sanierungserlasses (BMF Schreiben vom 27.03.2003) aus Billigkeitsgründen gestundet oder (teilweise) erlassen. Der Große Senat des BFH hat nun einer Grundsatzentscheidung vom 28.11.2016 (GrS 1/15) entschieden, dass ein Steuererlass aus Billigkeitsgründen auf Basis des Sanierungserlasses gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) verstößt.
Mit diesem Urteilsspruch wendet sich der Große Senat gegen die Einschätzung des X. Senats des BFH, der den Vorlagebeschluss gefasst hatte (Beschluss vom 25.03.2015, X R 25/13). Der Große Senat führt dazu aus, dass die Finanzverwaltung zwar in „atypischen Ausnahmefällen“ auf Basis der §§ 163 und 227 AO von der Besteuerung (teilweise) absehen kann. Zum Regel-fall dürfe dies jedoch nicht werden, da auch der Verzicht auf den Steuereingriff eine gesetzliche Grundlage voraussetzt und nicht allein auf Basis von Verwaltungserlassen erfolgen darf. Vielmehr sind die Finanzbehörden verpflichtet, entstandene Steuern festzusetzen und auch zu erheben.
In dem mangelnden Liquiditätszufluss bei durch Forderungsverzicht entstandenen Sanierungsgewinnen sieht der Große Senat keinen atypischen Einzelfall, der die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines insolvenzbedrohten Unternehmens nicht erhöht und daher eine Ausnahme von der Regelbesteuerung erforderlich macht. Vielmehr ist nach Auffassung des Großen Senats das Gegenteil der Fall: Mit dem Forderungsverzicht in Sanierungsabsicht wer-de die Leistungsfähigkeit des Unternehmens dadurch gesteigert, dass erwirtschaftete Erträge nicht mehr zur Bedienung der Schulden aufgewendet werden müssten. Im Sanierungserlass geht es nach Ansicht des Großen Senats nicht um steuerliche Unbilligkeit, sondern um wirtschafts- oder arbeitsmarktpolitische Ziele, welche die steuerliche Subventionierung der Sanierung notleidender Unternehmen fördern. Diese sind jedoch unbeachtlich, da sie außer-halb des Steuerrechts liegen und damit keine Billigkeitsmaßnahme rechtfertigen.
Typisierende Billigkeitsregelungen, wie sie der Sanierungserlass enthält, sind nach Ansicht des Großen Senats ungeeignet, um für Einzelfälle eine sachliche Unbilligkeit i. S. d. § 163 Satz 1 und § 227 AO festzustellen. Die Festlegung derartiger Tatbestandsmerkmale könne nur in einer gesetzlichen Regelung erfolgen. Dementsprechend obliegt auch die Entscheidung, ob notleidende Unternehmen steuerlich zu fördern sind, allein dem Gesetzgeber. Eine gesetzliche Regelung zur Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen hat der Gesetzgeber jedoch abgeschafft (§ 3 Nr. 66 EStG a.F.). Daraus leitet der Große Senat den Willen des Gesetzgebers ab, den Sanierungsgewinnen keine steuerliche Sonderstellung mehr zukommen lassen zu wollen.
Als Konsequenz aus dem Urteil des Großen Senats kann die Finanzverwaltung eine abweichende Steuerfestsetzung für Sanierungsgewinne sowie einen Erlass von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis nur noch nach sorgfältiger Einzelfallprüfung auf Basis der §§ 163 und 227 AO vornehmen, wenn die Erhebung der Steuer im Einzelfall aus persönlichen oder sachlichen Gründen unbillig wäre.