Seit dem Jahreswechsel 2020/21 gelten mit der Einführung SanInsFoG (Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts) und des StaRUG (Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen) im Restrukturierungs- und Insolvenzrecht zahlreiche neue Regelungen.
Richtig angewendet bietet das StaRUG in Zukunft ganz sicher viele Chancen für eine Restrukturierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens. Neben den Chancen regelt der Gesetzgeber auch Pflichten für die Mitglieder des zur Geschäftsführung berufenen Organs einer juristischen Person (z. B. GmbH oder AG) oder einer haftungsbeschränkten Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit (z. B. GmbH & Co. KG, in § 1 StaRUG „Geschäftsleiter“ genannt).
Gleich in § 1 StaRUG wird nun erstmals gesetzlich festgelegt, dass die Geschäftsleiter dazu verpflichtet sind, (1) fortlaufend über Entwicklungen zu wachen, welche den Fortbestand der juristischen Person gefährden können. Erkennen sie solche Entwicklungen, sind sie in der Folge verpflichtet, (2) geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen und (3) den zur Überwachung der Geschäftsleitung berufenen Organen (Überwachungsorganen) unverzüglich Bericht zu erstatten. Geschäftsleiter haben die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsmannes (§ 43 Abs. 1 GmbHG, § 93 Abs. 1 S. 1 AktG, § 34 Abs. 1 S. 1 GenG) anzuwenden. Bei den geeigneten Maßnahmen zur Abwendung einer Krise besteht ein unternehmerischer Ermessensspielraum. Vor einer Haftung können sich Geschäftsleiter schützen, indem sie die Anforderungen der sogenannten „Business Judgement Rule“ erfüllen. Maßgeblich ist danach insbesondere, dass der Geschäftsleiter im Interesse der Gesellschaft und auf der Grundlage angemessener Informationen handelt. Die Rechtsprechung verlangt hier grundsätzlich, dass der Geschäftsführer in der konkreten Entscheidungssituation alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art ausschöpft. Diese Anforderungen dürfen aber nicht überspannt werden. Der Geschäftsleiter muss also nicht jede nur denkbare Information beschaffen und nicht jede nur denkbare Auswirkung der Entscheidung bedenken. Die erforderliche Informationstiefe hängt vielmehr von den Kosten der Informationsbeschaffung, dem potentiellen Risiko für die Gesellschaft und der Zeitspanne, die für die Entscheidung zur Verfügung steht, ab. Daran gemessen wird man an die Informationsbasis für die Entscheidung über ein Frühwarnsystem wohl höhere Anforderungen stellen müssen.
Die gesetzliche Regelung lässt nun die konkreten Schlussfolgerungen für die Praxis offen. Um spätere Haftungsrisiken in einem möglichen Insolvenzverfahren zu vermeiden, sollten die „Geschäftsleiter“ jedoch im Unternehmen geeignete Maßnahmen und Regelungen einführen, um den Anforderungen gerecht werden zu können und im Fall des Eintritts bestandsgefährdender Risiken tatsächlich in angemessener Zeit adäquat reagieren zu können.
Die Pflicht zur Krisenfrüherkennung und -management erfüllen Geschäftsleiter in der Regel also durch ein für den Einzelfall geeignetes Frühwarnsystem. Die individuellen Anforderungen an ein solches Frühwarnsystem hängen von Faktoren wie Größe, Branche, Struktur, Komplexität, Risikostruktur und Kapitalmarktzugang des jeweiligen Unternehmens ab.
Zumindest sollte in jedem Unternehmen eine stets rollierende „integrierte Unternehmensplanung“ für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren, eine stets zeitnahe Überwachung von „Soll und Ist“ sowie im Fall des Eintritts wesentlicher ggf. auch bestandsgefährdender Risiken ein festgelegter Eskalationskatalog (Maßnahmen und Verantwortlichkeiten) eingeführt werden.