Mit dem am 17.12.2014 verkündetem Urteil (Az. 1 BvL 21/12) hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts die §§ 13a und 13b und § 19 Abs. 1 des Erbschaftsteuer‑ und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) für verfassungswidrig erklärt. Die Privilegierung des Betriebsvermögens bei der Erbschaftsteuer wird in ihrer derzeitigen Ausgestaltung als nicht in jeder Hinsicht mit der Verfassung vereinbar erklärt. Die Vorschriften sind zunächst weiter anwendbar; der Gesetzgeber muss jedoch bis zum 30.06.2016 eine Neuregelung treffen.
Positiv ist, dass die grundsätzliche Zulässigkeit der bisherigen Systematik der Erhebung der Erbschaftsteuer mit den Verschonungsregelungen und insbesondere der 100%igen Verschonung anerkannt wird. Im Urteil heißt es dazu: „Es liegt im Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers, kleine und mittelständische Unternehmen, die in personaler Verantwortung geführt werden, zur Sicherung ihres Bestands und damit auch zur Erhaltung der Arbeitsplätze von der Erbschaftsteuer weitgehend oder vollständig freizustellen.“ Eine Begünstigung von KMU ist hiermit weiterhin möglich, allerdings benötigt der Gesetzgeber „tragfähige Recht-fertigungsgründe“.
Für größere Unternehmen soll die Anwendung der Verschonungsregeln nicht ohne Bedürfnisprüfung möglich sein. Im Urteil heißt es: „Die Privilegierung des unentgeltlichen Erwerbs betrieblichen Vermögens ist jedoch unverhältnismäßig, soweit die Verschonung über den Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen hinausgreift, ohne eine Bedürfnisprüfung vorzusehen.“ Die Ausgestaltung der Definition eines größeren Unternehmens und der Bedürfnisprüfung wurde vom BVerfG offen gelassen und ist vom Gesetzgeber zu bestimmen, wobei das BVerfG auf die bekannte Definitionsempfehlung der EU-Kommission verweisen hat.
Unverhältnismäßig sind nach dem Urteil die Freistellung von Unternehmen mit bis zu 20 Beschäftigten von der Einhaltung einer Mindestlohnsumme und die Verschonung betrieblichen Vermögens mit einem Verwaltungsvermögensanteil bis zu 50 %. Wenn bei der Neuregelung der Vorschriften die bisherige Verschonungsregeln beibehalten werden, dann ist zu erwarten, dass sich auch Unternehmen mit weniger als 20 Mitarbeitern einer Lohnsummenprüfung unterziehen müssen und dass die Verschonung von Verwaltungsvermögen wohl ausgeschlossen oder zumindest stärker begrenzt werden wird.
Aufgrund des Urteils und der zu erwartenden künftigen Neuregelung des ErbStG sollten speziell große Familienunternehmen die bis maximal zum 30.06.2016 geltenden Verschonungs-regeln nutzen, um Ihr Unternehmen auf die nächste Generation zu übertragen. Auch Unter-nehmen mit bis zu 20 Mitarbeitern und Unternehmen mit viel Verwaltungsvermögen sollten eine Übertragung nach bisherigem Recht bis maximal zum 30.06.2016 erwägen, um die bestehenden erbschaftsteuerlichen Vorteile nutzen zu können. Dabei ist zu beachten, dass die Übertragungsgestaltung nicht als exzessive Ausnutzung* der aktuellen Vorschriften zu sehen ist. Das BVerfG hat dem Gesetzgeber erlaubt, per rückwirkendem Gesetz auf den 17.12.2014 die Anwendung der derzeitigen Verschonungsregeln zu versagen.
*) Mit exzessiver Ausnutzung ist die gesetzeszweckwidrige Ausnutzung der Vorschriften gemeint, wobei der Gesetzeszweck die Verschonung von Produktivvermögen, welches unmittelbar dem Erhalt von Arbeitsplätzen dient, beinhaltet.