Geld zurückzahlen, das man von seinem Kunden für eine bereits erbrachte Dienstleistung oder ein geliefertes Produkt erhalten hat – zum Teil bereits vor mehreren Jahren? Einer solchen Forderung sehen sich jeden Tag zahlreiche Unternehmen in Deutschland ausgesetzt. Grund dafür ist die sogenannte Insolvenzanfechtung. Um die damit verbundenen finanziellen Risiken zu reduzieren, hat der Bundestag neue gesetzliche Regelungen auf den Weg gebracht.
Am 16.02.2017 wurde dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz (Drs. 18/7054) gemäß der Beschlussempfehlung des mehrheitlich im Bundestag zugestimmt. Damit wird einer Vereinbarung im Koalitionsvertrag Rechnung getragen, die diese Reform vorsieht. Es ist daher davon auszugehen, dass die vom Bundestag beschlossene Gesetzesreform im Bundesrat keinen Widerspruch erfährt und noch vor Ablauf der Legislaturperiode (im September 2017) in Kraft treten wird.
Durch die Gesetzesreform sollen übermäßige Belastungen des Geschäftsverkehrs und von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern beseitigt werden, die durch die bisherigen Regelungen des Insolvenzanfechtungsrechts und der ausufernden Rechtsprechung hierzu bestehen. Dazu sollen die Insolvenzanfechtungsvoraussetzungen punktuell erschwert und (Zins)Anreize für Insolvenzverwalter wegen eines Zuwartens mit Insolvenzanfechtungsprozessen beseitigt werden. Wenn das Gesetz so in Kraft tritt wie es der Bundestag verabschiedet hat, umfasst es z. B. folgende Neuerungen:
- Vier statt zehn Jahre – Verkürzung der Frist bei der Vorsatzanfechtung: Wenn ein Unternehmen von seinem Kunden eine Zahlung erhalten hat und wusste, dass der Kunde bei der Zahlung bereits in wirtschaftlichen Schwierigkeiten war – unter Umständen etwa schon dann, wenn die Rechnung nicht pünktlich bezahlt wurde – konnten Insolvenzverwalter diese Zahlungen bislang bis zu zehn Jahre zurückfordern.
- Schwerer anfechtbar – Vorteile bei vereinbarter Ratenzahlung: Vereinbart ein Unter-nehmen mit seinem Kunden eine Ratenzahlung, ist dies nicht mehr automatisch ein Indiz dafür, dass das Unternehmen (Anfechtungsgegner) wusste, dass der Kunde (Schuldner) zahlungsunfähig ist. Zahlungen aus derartigen Vereinbarungen können damit schwerer angefochten werden als bisher. Tatsächlich sollen solche Zahlungen nach der Formulierung des Gesetzes letztlich sogar schwerer anzufechten sein als „reguläre“ Zahlungen – also ohne Ratenzahlung.
- Teilweise Privilegierung von Bargeschäften auch bei Vorsatzanfechtung: Hat der Schuldner eine Leistung erbracht, für die er unmittelbar – das bedeutet in der Regel innerhalb von 30 Tagen – eine gleichwertige Gegenleistung erhalten hat (sogenanntes Bargeschäft), ist diese nach dem neuen Recht nur anfechtbar, wenn der Insolvenzverwalter nachweist, dass der Schuldner „unlauter“ gehandelt hat und der Geschäftspartner dies wusste. Bislang war ein solches „Bargeschäftsprivileg“ im Bereich der Vorsatzanfechtung generell ausgeschlossen.
- Verzinsung erst nach Mahnung – reduzierte Zinsnachforderungen: Der Anfechtungsgegner muss den angefochtenen Betrag erst ab dem Zeitpunkt verzinsen, zu dem Verzug eingetreten ist – in der Regel, wenn er vom Insolvenzverwalter eine Mahnung erhält. Bislang mussten Zinsen (aktuell etwa 4,4 % pro Jahr) automatisch ab dem Zeit-punkt der Insolvenzeröffnung gezahlt werden.
- Zahlungen mit Anspruch – Vorsatzanfechtung nur bei positiver Kenntnis des Geschäftspartners: Bei Zahlungen, auf die das Unternehmen einen Anspruch hatte (sogenannte kongruente Zahlungen, z. B. die vereinbarungsgemäße und unmittelbare Bezahlung einer Leistung oder Lieferung durch den Kunden), darf nur noch dann davon ausgegangen werden, dass der Geschäftspartner wusste, dass der Kunde dadurch die anderen Gläubiger benachteiligen wollte, wenn dem Geschäftspartner eine – tatsächlich eingetretene – Zahlungsunfähigkeit des Kunden definitiv bekannt war. Bislang war dies bereits dann der Fall, wenn das Unternehmen wusste, dass dem Kunden die Zahlungsunfähigkeit (lediglich) drohte.
Mit der Berücksichtigung folgender Punkte können mögliche Anfechtungsrisiken weitestgehend minimiert werden:
- Vereinbarungsgemäße und unmittelbare Zahlung: Eine Zahlung ist als sogenanntes Bargeschäft zum Beispiel vor der Insolvenzanfechtung besonders geschützt, wenn der Auftraggeber eine Leistung oder Lieferung vereinbarungsgemäß und unmittelbar bezahlt – in der Regel innerhalb von 30 Tagen.
- Zahlungsweg einhalten: Zudem sollte der vereinbarte Zahlungsweg eingehalten wer-den. Zahlt nämlich etwa statt des Auftraggebers sein Tochterunternehmen die Rechnung, kann diese Zahlung leichter angefochten werden.
- Eigentumsvorbehalt oder andere Sicherungsmittel vereinbaren: Lieferanten sollten darauf achten, dass sie sich ihr Eigentumsrecht an den von Ihnen gelieferten Waren vorbehalten oder sich auf andere geeignete Art und Weise sichern, bis der Kunde die Rechnung vollständig bezahlt hat. Zum Beispiel kommt bei größeren Aufträgen die Stellung einer Bankbürgschaft in Betracht.
- Vollstreckungsmaßnahmen konsequent umsetzen: Forderungen, die Unternehmen durch Vollstreckungsmaßnahmen eintreiben müssen, sollten sie konsequent durch-setzen und in einem solchen Fall – vor der voraussichtlichen Gesetzesänderung – mit dem Auftraggeber, der nicht bezahlt, keine Ratenzahlung vereinbaren. Wenn zwischen der Zahlung und dem Insolvenzantrag dann mehr als drei Monate vergehen, scheitert die Anfechtung in einem solchen Fall in der Regel.
Finanzielle Risiken der Insolvenzanfechtung können auch durch die vorgesehenen Neuerungen nicht völlig ausgeschlossen, sondern nur reduziert werden. Unternehmen müssen das Anfechtungsrisiko also auch weiterhin in ihrer Bilanz berücksichtigen. Denn auch wenn es weniger oft sein wird als bislang – am Ende kann es trotz des neuen Gesetzes weiterhin dazu kommen, dass die Unternehmen bereits erhaltene Zahlungen wieder herausgeben müssen und auf ihren Forderungen sitzen bleiben. Abschließende Klarheit wird es aber trotzdem erst in einigen Jahren geben, wenn der Bundesgerichtshof die ersten Anfechtungsfälle nach dem neuen Recht entschieden und die zahlreichen sogenannten unbestimmten Rechtsbegriffe konkretisiert hat, die das Gesetz enthält.