Insolvenzanfechtungen zwischen verbundenen Unternehmen beschäftigen seit langer Zeit die Gerichte. Der BGH befasste sich in einem weiteren Urteil aus dem Juni 2019 (IX ZR 167/18) mit wichtigen Fragen des Anfechtungsrechts. Das Gericht lieferte dabei insbesondere bedeutende Erkenntnisse für den Umfang des Anfechtungsrisikos in einem Gesellschafterdarlehensverhältnis mit taggleichen Hin- und Herzahlungen. Das Urteil kann Auswirkungen auf die Praxis von Cash Pools haben und ist dadurch zugleich von erheblicher Bedeutung im Kontext von M&A Transaktionen.
Der Sachverhalt In dem entschiedenen Fall bestand zwischen einer AG und ihrer Alleinaktionärin eine kontokorrentähnliche Rahmenvereinbarung über die Gewährung von Darlehen. Auf dieser Grundlage erhielt die AG mehrmals täglich sechsstellige Geldbeträge. Ihrerseits überwies die AG regelmäßig im Hinblick auf die erhaltenen Gelder erhebliche Beträge zzgl. Zinsen an ihre Aktionärin zurück. Die Dauer der jeweiligen Geldüberlassungen betrug überwiegend zwischen 40 und 94 Tagen. In der Doppelinsolvenz von AG und Alleinaktionärin macht der Insolvenzverwalter der AG einen Insolvenzanfechtungsanspruch in Höhe der Summe aller im Jahr vor Insolvenzantragstellung getätigten Rückzahlungen geltend. Hiergegen erhebt der Beklagte in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter der Aktionärin die Einrede der Anfechtbarkeit der ausgereichten Darlehen (§§ 143 Abs. 1, 146 Abs. 2 InsO).
Das zitierte Urteil des BGH enthält folgende Grundsätze:
- Zunächst stellt der BGH in seinem Urteil klar, dass im Falle der Doppelinsolvenz von Gesellschaft und Gesellschafter die anfechtbare Gewährung eines Gesellschafterdarlehens eine Einrede gegen den Anspruch auf Rückführung anfechtbarer Darlehensrückzahlungen gewährt.
- In Bezug auf den Anwendungsbereich von § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO (Anfechtung von Darlehensrückzahlungen innerhalb eines Jahres vor Antragstellung) führt der BGH aus, dass geleistete vertragliche Zinsansprüche aus einem Gesellschafterdarlehen nicht anfechtbar sind, solange die Zinshöhe marktüblich ist und die Zinszahlungen nicht in darlehensgleicher Weise gestundet werden. Umgekehrt sei aber jede Forderung eines Gesellschafters auf Rückzahlung eines von ihm an die Gesellschaft überlassenen Geldbetrages darlehensgleich zu behandeln, sofern eine Rückzahlung von vornherein beabsichtigt war und ein Rückzahlungsanspruch durchgängig bestand.
- Schließlich seien bei einem kontokorrentähnlichen Gesellschafterdarlehensverhältnis Rückzahlungen der Gesellschaft gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO nur insoweit anfechtbar, als der im Anfechtungszeitraum bestehende höchste Saldo bis zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens endgültig zurückgeführt worden ist.
Die Aussagen des Gerichts zum Umfang der Anfechtung bei kontokorrentähnlichen Zahlungen sind nicht nur im Insolvenzfall, sondern auch im Kontext von M&A-Transaktionen wichtig. Denn die der Entscheidung zugrundeliegende Konstellation ähnelt dem täglichen Ausgleich im Rahmen eines echten Cash Pools. Im Fall der Insolvenz einer am Cash Pool beteiligten Gesellschaft konnte stets ein Risiko gesehen werden, dass sämtliche während des Anfechtungszeitraums erfolgten Zahlungen dieser Gesellschaft als Befriedigung einer darlehensgleichen Forderung gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO angefochten werden. Besonders problematisch wird dieses Risiko bei der geplanten Veräußerung einer Gesellschaft. Spätestens mit Vollzug einer M&A-Transaktion verliert der Verkäufer seinen Einfluss auf die Zielgesellschaft, bleibt jedoch – nach verbreiteter Interpretation der Rechtsprechung zu § 135 InsO – für bereits erfolgte Rückzahlungen gleich dem Erwerber einem Anfechtungsrisiko ausgesetzt. Die Praxis versucht diesem Risiko etwa durch die Aufnahme von Verpflichtungen des Käufers zur ausreichenden Liquiditätsausstattung der Zielgesellschaft im Anfechtungszeitraum, Freistellungsregelungen, Drittgarantien und vertraglich vereinbarte Verhaltenspflichten zu begegnen.
Die aktuelle Entscheidung dürfte es ermöglichen, das Anfechtungsrisiko des Verkäufers künftig zu beziffern. Damit kann im zweiten Schritt zielgerichtet verhandelt werden. Denn der BGH hat entschieden, dass im konkreten Fall die einzelnen Geldüberlassungen aufgrund der häufig taggleich erfolgenden Rückzahlungen eine zusätzliche Kreditierung der AG nur insoweit darstellten, als sie den jeweils bestehenden Zwischensaldo erhöhten. Eine gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbare Darlehensrückzahlung bestand damit nur in Höhe der Differenz zwischen dem höchsten innerhalb des letzten Jahres vor dem Insolvenzantrag erreichten Sollsaldo und dessen Stand am Tag des Insolvenzantrags. Eine Addition sämtlicher Rückzahlungen findet nicht statt. Überträgt man diesen Grundsatz auf einen Cash Pool, kann der Verkäufer in einer M&A-Transaktion mit einiger Sicherheit annehmen, sich „lediglich“ gegen eine Rückzahlung des höchsten im Jahr vor dem Stich- bzw. Vollzugstag erreichten Zwischensaldos absichern zu müssen. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Praxis und auch die Rechtsprechung dieser Auffassung anschließen.
Aus Gesellschaftersicht kann es ferner weiterhin empfehlenswert sein, Zinsansprüche in der Krise fortgesetzt und vorrangig vor fälligen Darlehenstranchen zu vereinnahmen. Denn der BGH hat zutreffend festgestellt, dass die Begleichung vertraglicher Zinsansprüche kein Anfechtungsrisiko nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO begründet, sofern Zinshöhe und Zinsbedingungen marktüblich sind. Der Gestaltungsspielraum ist allerdings begrenzt. Der BGH macht nämlich zugleich klar, dass unübliche Zinszahlungen an den Gesellschafter weiterhin als Darlehensrückzahlung qualifiziert werden können. Wo in diesem Zusammenhang die Üblichkeit endet und ob es für die Feststellung auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses oder der tatsächlichen Zinszahlung ankommt, bleibt leider offen.
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