Der EuGH widerspricht der strengen Auffassung des BFH zum Vorsteuerabzug, wonach eine ordnungsgemäße Rechnungsadresse eine dortige wirtschaftliche Tätigkeit voraussetze. Vielmehr sei der Begriff „Anschrift“ weit zu verstehen, so dass auch ein Briefkastensitz genüge.
Eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung erfordert nach den deutschen umsatzsteuerlichen Regelungen neben der Nennung des vollständigen Namens auch eine vollständigen Anschrift des leistenden Unternehmers (§ 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG). Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH ist die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit an der Rechnungsadresse zwingend notwendig und bei deren Nichtvorliegen könne auch kein Gutglaubensschutz greifen. Dem widersprach der EuGH und folgt damit den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 05.07.2017.
Der Begriff „Anschrift“ i.S.d. Art. 226 Nr. 5 der MwStSystRL sei weit zu verstehen und umfasse jede Art von Anschrift, einschließlich einer Briefkastenanschrift, sofern die Person unter dieser Anschrift erreich-bar ist (EuGH vom 15.11.2017, C-374/16 und 375/16). Darüber hinausgehende, enger gefasste Verpflichtungen seien nicht mit Unionsrecht vereinbar. Denn das Recht auf Vorsteuerabzug könne nicht über die MwStSystRL hinaus eingeschränkt werden. Der EuGH sieht vielmehr in der Mehrwertsteuer-Identifikations-nummer des Unternehmers (USt-IdNr.) die Hauptinformationsquelle für den Vorsteuerabzug.
Der EuGH folgt damit seiner Rechtsprechung, die außerhalb von Fällen des Steuermissbrauchs oder der Steuerhinterziehung dazu tendiert, rein formelle Rechnungsmerkmale nicht allzu streng für den Vorsteuerabzug zu bewerten.
Trotz dieser Erleichterungen, die der EuGH gegenüber der Rechtsprechung des BFH vornimmt, sind Briefkastenadressen dennoch nicht vollkommen bedenkenfrei. Der EuGH hat in seiner Entscheidung auch klargestellt, dass die Anschrift in Verbindung mit den anderen Personalangaben wie Name und USt-IdNr. der Identifizierung des Rechnungsausstellers dient und dem Finanzamt Kontrollen ermöglichen soll. Scheinadressen, die die Identifizierung und Erreichbarkeit nicht ermöglichen, sondern verschleiern sollen, können daher auch nach diesem EuGH-Urteil als nicht ausreichend für eine ordnungsgemäße Rechnung gelten. Zu beachten ist dabei, dass die USt-IdNr., die der EuGH für eine wesentliche Informationsquelle hält, in Deutschland per se nicht zwingend ist. Viele in Deutschland ansässige Unternehmer, verfügen nur über eine von ihrem Finanzamt lokal vergebende Steuernummer.