Der Ansatz und die Bewertung von Rückstellungen ist im handelsrechtlichen Jahresabschluss regelmäßig der größte Bereich für Diskussionen zwischen Ersteller und Abschlussprüfer. Das an dieser Stelle nicht Äpfeln mit Birnen verglichen werden sollten und eine Orientierung an den Grundprinzipien der Bilanzierung geboten ist, verdeutlicht folgendes Fallbeispiel.
- Fall 1) Die X-GmbH unterliegt der gesetzlichen Gewährleistungspflicht für selbst hergestellte und vertriebene Produkte. Entsprechende Gewährleistungspflichten treffen die Lieferanten der dazu verwendeten Vorprodukte. Am Abschlussstichtag der X-GmbH ist ernsthaft mit Gewährleistungsfällen zu rechnen, die auf Fehler in den Vorprodukten zurückzuführen sind.
- Fall 2) Darüber hinaus rechnet die X-GmbH mit Geldbußen und Schadensersatzzahlungen aufgrund eines wahrscheinlichen Kartellrechtsverstoßes. Das Mutterunternehmen der X-GmbH hat bis zum Abschlussstichtag erklärt, die X-GmbH von allen daraus resultierenden Belastungen im Innenverhältnis freizustellen.
Fraglich ist, wie diese zwei auf den ersten Blick ähnlichen Sachverhalte im handelsrechtlichen Abschluss – insbesondere ob bei der Bewertung von Rückstellungen die Ersatz- und Rückgriffsansprüche – zu berücksichtigten sind.
Grundsätzlich kommt eine Verrechnung von Rückstellung und Forderung aus Freistellungsanspruch aufgrund des Bruttodarstellung-Gebots nicht in Frage. D.h. stellt ein Dritter den Bilanzierenden von einer Verpflichtung frei, für die eine Rückstellung zu bilden ist, ist der Freistellungsanspruch grundsätzlich zu aktivieren, anderenfalls wäre dies ein Verstoß gegen das Saldierungsverbot des § 246 Abs. 2 Satz 1 HGB.
Eine Ausnahme bildet die Regelung des § 246 Abs. 2 Satz 2 HGB (Deckungsvermögen). Außerhalb dieses Anwendungsbereichs kommt eine Nettobilanzierung, also Verrechnung, nur unter den im Schrifttum entwickelten Grundsätzen der Bilanzierung von Gesamtschuldverhältnissen nach § 421 BGB in Frage. Eine Gesamtschuld kann durch Schuldbeitritts durch eine Dritten entstehen. Neben dem Bestehen einer Gesamtschuld ist eine Verrechnung nur und nur dann möglich., wenn die Ansprüche in verbindlicher Weise der Entstehung oder Erfüllung der Verpflichtung nachfolgen – konkret heißt das, dass die Ansprüche unmittelbar und unbedingt aus demselben Sachverhalt resultieren müssen.
- Zu Fall 2) Verpflichtet sich wie im betrachteten Fall ein Mutterunternehmen, ein Tochterunternehmen (X-GmbH) im Innenverhältnis von sämtlichen Risiken aus dem Kartellrechtsstreit freizustellen, resultiert dieser vertraglich vereinbarte Freistellungsanspruch gegen das Mutterunternehmen nicht unmittelbar aus der Entstehung/Verwirklichung des Kartellrechtsverstoßes. Die ggf. bei der X-GmbH zu bildende Rückstellung ist daher zum vollen handelsrechtlichen Erfüllungsbetrag ohne Berücksichtigung der Freistellung durch das Mutterunternehmen anzusetzen. Der Ansatz des Freistellungsanspruchs ist separat zu prüfen.
- Zu Fall 1) Etwas anderes gilt für die bilanzielle Behandlung der hier betrachteten Gewährleistungsfälle aus Sicht der X-GmbH. Unterliegt ein Unternehmen der gesetzlichen Gewährleistungspflicht für selbst hergestellte und vertriebene Produkte und treffen entsprechende Gewährleistungspflichten die Lieferanten der dazu verwendeten Vorprodukte, resultieren Anspruch und Verpflichtung – anders als bei vertraglich vereinbarten Erfüllungsübernahmen – originär aus demselben Sachverhalt (= Fehler aus dem Vorprodukt). Droht ein Gewährleistungsfall, für den ein Fehler in einem Vorprodukt ursächlich ist, erscheint es daher sachgerecht, den Rückgriffsanspruch gegen den Lieferanten des Vorprodukts bei der Bewertung der Gewährleistungsrückstellung im handelsrechtlichen Jahresabschluss der X-GmbH entsprechend betragsmindernd zu berücksichtigen (sog. kompensatorische Wirkung).