Nach der für die Auslegung von § 613a BGB maßgeblichen Betriebsübergangsrichtlinie (2001/23/EG) ist ein Betriebsübergang der „Übergang einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit“.
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH und des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ist das Vorliegen eines Betriebsübergangs anhand einer Gesamtschau nach sieben Kriterien zu prüfen. Die hierbei einzubeziehenden Kriterien sind (1) die Art des Betriebs, (2) der Übergang und der Wert der materiellen bzw. (3) immateriellen Aktiva, (4) die Übernahme der Arbeitnehmer, (5) die Übernahme der Kundschaft, (6) die Ähnlichkeit der Tätigkeit vor und nach der Übernahme sowie (7) die Dauer einer möglichen Unterbrechung der Geschäftstätigkeit.
Bei der Gewichtung dieser Kriterien unterscheidet die Rechtsprechung üblicherweise zwischen sog. betriebsmittelgeprägten und nicht betriebsmittelgeprägten Betrieben. Betriebsmittel prägen einen Betrieb, wenn diese für den Betriebszweck unerlässlich sind, z. B. die Fahrzeugflotte eines Logistikunternehmens. Bei betriebsmittelgeprägten Betrieben wurde in der Vergangenheit dem Übergang eben dieser Betriebsmittel eine wesentliche Bedeutung bei der Beurteilung des Vorliegens eines Betriebsübergangs beigemessen. Eine rechtliche Bewertung über das Vorliegen von Betriebsübergängen kann sehr anspruchsvoll sein.
Eine im Februar 2020 ergangene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (AZ: C-298/18) schafft keine Abhilfe, im Gegenteil: Ein entscheidendes Kriterium für die Bewertung, ob ein Betriebsübergang vorliegt, war bislang, ob Betriebsmittel übergehen. Die Frage, warum Betriebsmittel (nicht) übergehen, war nach bisherigem Verständnis irrelevant. Der Europäische Gerichtshof weicht in der vorliegenden Entscheidung nicht nur die strikte Trennung zwischen betriebsmittelarmen und betriebsmittelgeprägten Betrieben auf, sondern schafft neue Bewertungsunsicherheiten, indem er auf die Motivation für die Nichtübernahme von Betriebsmitteln abstellt.
Der Entscheidung des EuGH lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Ein Landkreis in Deutschland hatte den Betrieb des öffentlichen Busnahverkehrs neu ausgeschrieben. Die Ausschreibungsbedingungen enthielten diverse Anforderungen, insbesondere an die (umwelt-) technische Ausstattung der Busse sowie an das einzusetzende Personal. Der bisherige Betreiber beteiligte sich nicht erneut an der Ausschreibung, stellte den Betrieb ein und kündigte allen Arbeitnehmern. Das Unternehmen, das die Ausschreibung gewann, stellte sodann den überwiegenden Teil der Belegschaft des bisherigen Betreibers ein. Die Busse und Betriebshöfe des bisherigen Betreibers wurden hingegen nicht übernommen, da insbesondere die Busse die technischen Anforderungen der Ausschreibung nicht erfüllten. Nach Auffassung der beteiligten Busunternehmen stellte dieser Vorgang keinen Betriebsübergang dar. Dies wurde jedoch von mehreren Arbeitnehmern des bisherigen Betreibers geltend gemacht und vom EuGH bestätigt. Nach Auffassung des EuGH kommt dem Übergang der Betriebsmittel im vorliegenden Fall keine wesentliche Bedeutung zu, da die Übernahme der Betriebsmittel aufgrund der Ausschreibungsbedingungen wirtschaftlich bzw. rechtlich unmöglich war. Die diesbezügliche unternehmerische Entscheidung war mithin durch äußere Zwänge bedingt. Ferner könnten bereits die Übernahme eines wesentlichen Teils der Belegschaft des bisherigen Betreibers und die nahtlose Fortführung der Tätigkeit für einen Betriebsübergang ausreichen.
Eine tatsächliche Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung stellt diese Entscheidung allerdings nicht dar. Der EuGH hatte auch bislang stets betont, dass es jeweils auf eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls ankomme. Selbst in betriebsmittelgeprägten Betrieben sollte daher die Übernahme der Betriebsmittel nicht der einzige Beurteilungsfaktor sein. Ob es sich bei der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs um einen „Ausreißer“ handelt oder diese die Grundlage für eine neue Entscheidungslinie in der Rechtsprechung wird, bleibt abzuwarten.