In der hohen Komplexität der gesetzlichen Regelungen zum Mehrwertsteuersystem kommt es immer mehr zu einem Ping-Pong-Spiel zwischen Gesetzgeber, Finanzverwaltung, Rechtsprechung und EU-Recht. Aktuell wird dies an den nachfolgend beschriebenen zwei Beispielen sehr deutlich.
Wir hatten erst kürzlich darüber berichtet, dass EuGH und BFH mehr Rechtssicherheit beim Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit Rechnungskorrekturen geschaffen haben. Nun hat das BMF hierauf reagiert und am 15.10.2018 einen Entwurf eines Schreibens vorgelegt. Hierin beabsichtigt das BMF zwar die geänderte Sicht des BFH, die dem EuGH folgend teilweise eine rückwirkende Rechnungsberichtigung für Zwecke des Vorsteuerabzugs zulässt, grundsätzlich zu gestatten. Allerdings wird das BMF auch einige Hürden aufstellen.
Das BMF hält eine Rechnung der BFH-Rechtsprechung folgend für rückwirkend berichtigungsfähig, wenn sie Angaben zum Rechnungsaussteller, zum Leistungsempfänger, zur Leistungsbeschreibung, zum Entgelt und zur gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer enthält. Die Angaben dürfen allerdings nicht so unbestimmt, unvollständig oder offensichtlich unzutreffend sein, dass sie fehlenden Angaben gleichstehen. Was das BMF derzeit darunter versteht, führt es zu den einzelnen Rechnungsmerkmalen im Entwurf aus. So fordert das BMF beispielsweise bei der Angabe des leistenden Unternehmers, dass dessen eindeutige Identifizierung möglich ist.
Wird in einer Rechnung ein Steuerbetrag unzutreffend nicht ausgewiesen (z.B. bei Nichtvorliegen einer nicht steuerbaren Geschäftsveräußerung im Ganzen, falsche Beurteilung des Wechsels der Steuerschuldnerschaft nach § 13b UStG), will das BMF nach dem vorliegenden Entwurf die Rückwirkung der Berichtigung nicht erlauben. Die Rückwirkung soll ebenso nicht greifen, wenn sich nachträglich herausstellt, dass zwischen bestimmten Personen keine Organschaft vorlag und über die vermeintlichen Innenumsätze Belege ohne Umsatzsteuerausweis ausgetauscht wurden. Eine Einordnung einer Rechnungsberichtigung als rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO lehnt das BMF im Übrigen ab. Es bleibt abzuwarten, ob sich das BMF mit dieser recht engen Auslegung gegen die Rechtsprechung des EuGH auf Dauer behaupten kann.
Ein weiteres Dauerthema in der Diskussion ist „Reverse-Charge beim Bauträger“. Nun verwirft der BFH in einem aktuellen Urteil vom 27.09.2018 (V R 49/17) eine Kernaussage aus dem jüngsten BMF-Schreiben vom 26.07.2017.
Bei vor dem 15.02.2014 erbrachten Bauleistungen, bei denen die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens unrichtig war, kann der Leistungsempfänger unter Berufung auf ein BFH-Urteil aus dem Jahr 2013 (V R 37/10) die sogenannte § 13b-Umsatzsteuer zurückfordern. Dann schuldet der Leistende die Umsatzsteuer (§ 27 Abs. 19 UStG). Der leistende Unternehmer kann in diesem Fall seinen zivilrechtlichen Anspruch auf Zahlung der Umsatzsteuer gegenüber dem Leistungsempfänger an sein Finanzamt abtreten, wobei die Abtretung unter bestimmten Voraussetzungen an Zahlungs statt wirkt.
Mit Schreiben vom 26.07.2017 hatte das BMF die Vorgaben eines BFH-Urteils aus dem Jahr 2017 (V R 16/16, V R 24/16) hinsichtlich der Abwicklung der Umsatzsteuerkorrektur nach § 27 Abs. 19 UStG umgesetzt. Die Finanzverwaltung erstattet die vom Leistungsempfänger fälschlicherweise im Reverse-Charge-Verfahren abgeführte Umsatzsteuer diesem jedoch nur, wenn er die Zahlung der fraglichen Umsatzsteuer an den leistenden Unternehmer nachweist oder die Möglichkeit für eine Aufrechnung durch das Finanzamt besteht. Diese zusätzliche Einschränkung des BMF ist für den BFH nach dem zitierten Urteil vom 27.09.2018rechtswidrig. In offenen Fällen kann dieses Urteil die Durchsetzung des Erstattungsanspruchs erleichtern.
Bild: Rainer Sturm / pixelio