Im Rahmen der sogenannten Sollbesteuerung müssen Unternehmer ihre Leistungen unabhängig von der Vereinnahmung des Entgelts bereits in dem Voranmeldungszeitraum versteuern, in dem die Leistung erbracht wird. Erst im Falle einer Uneinbringlichkeit des Entgelts (z. B. bei Zahlungsunfähigkeit des Leistungsempfängers) kann die Umsatzsteuer berichtigt werden (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG), so dass der Unternehmer die Umsatzsteuer vom Fiskus zu-rückerhält.
Laut einem Anfang 2014 veröffentlichten BFH-Urteil kann eine Uneinbringlichkeit auch vor-liegen, wenn der Unternehmer seinen Entgeltanspruch aufgrund eines vertraglichen Sicherungseinbehalts über einen zwei- bis fünfjährigen Gewährleistungszeitraum – in Höhe des Sicherungseinbehalts – nicht verwirklichen kann.
In Reaktion auf dieses Urteil des BFH schließt sich die Finanzverwaltung für alle offenen Fälle dessen Auffassung an (BMF-Schreiben vom 03.08.2015). Auch nach ihrer Auffassung ist der Unternehmer bei vertraglichen Einbehalten zur Absicherung von Gewährleistungsansprüchen der Leistungsempfänger nicht verpflichtet, die Umsatzsteuer vorzufinanzieren. Das gilt laut BMF allerdings nur, soweit es dem Unternehmer nachweislich nicht möglich war, den Sicherungseinbehalt des Auftraggebers durch Gestellung von Bankbürgschaften im Einzelfall ab-zuwenden und er dadurch das Entgelt insoweit für „absehbare Zeit“ noch nicht vereinnahmen kann (Abschn. 17.1 Abs. 5 UStAE n. F.).
Das BMF setzt als „absehbare Zeit“ für die Uneinbringlichkeit einen Zeitraum ab „über zwei bis fünf Jahre“ voraus. Es interpretiert damit möglicherweise den BFH über Gebühr. Denn der BFH hatte in seinem Urteil vertreten, dass bei einer fehlenden Vereinnahmungsmöglichkeit für einen Zeitraum über zwei bis fünf Jahre „erst recht“ von einer Uneinbringlichkeit aus-zugehen ist. Eine starre zeitliche Untergrenze für die Dauer der Uneinbringlichkeit aufgrund eines Sicherungseinbehalts hatte der BFH damit eigentlich nicht gesetzt.