Rückstellungen in Handels- und Steuerbilanz gehören in der deutschen Wirtschaft nach Art, Inhalt und Höhe zu den besonders bedeutsamen Bilanzposten – sowohl in der Handles- als auch in der Steuerbilanz. Rückstellungen werden in der Literatur viel diskutiert, bilden einen wichtigen Bereich in der Rechtsprechung und sind ein Bereich, in dem Handels- und Steuerbilanz immer mehr auseinander laufen.
Die Bewertung von Rückstellungen geht in Handels- und Steuerbilanz strukturell getrennte Wege, die Einhaltung des klassischen „Maßgeblichkeitsprinzips“ ist insbesondere bei diesem Bilanzposten nicht erkennbar. Handelsbilanziell sind Rückstellungen für Sach- und Geldleistungsverpflichtungen seit dem BilMoG vom 25.05.2009 mit dem nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendigen Erfüllungsbetrag anzusetzen und – bei mehr als einjähriger Restlaufzeit – mit einem laufzeitadäquaten durchschnittlichen Marktzins bis zur Inanspruchnahme abzuzinsen. Für steuerbilanzielle Zwecke sieht § 6 Abs.1 Nr. 3a EStG abweichend zur Handelsbilanz und mit dem Ziel eines „Fiskalschutzes“ vor zu hohen Rückstellungen dagegen eine Bewertung mit Preisen zum Bilanzstichtag vor – also ohne nachstichtagsbezogene Wertveränderungen (nach oben wie nach unten). Darüber hinaus fordert der Steuergesetzgeber eine Abzinsung von langfristigen Rückstellungen mit 5,5 % (ungeachtet der Marktzinsentwicklungen). Gleichzeitig hat der Fiskus jedoch eine steuerbilanzielle Rückstellungsobergrenze eingeführt: „Mit Ausnahme der Pensionsrückstellungen darf die Höhe der Rückstellung in der Steuerbilanz den zulässigen Ansatz in der Handelsbilanz nicht überschreiten.“ (R 6.11 Abs. 3 EStR 2012).
Die seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 andauernde Niedrigzinsphase bereitet der betrieblichen Altersversorgung in Deutschland zunehmend Probleme. Die von den Unternehmen gegenüber ihren Arbeitnehmern in direkter Form eingegangenen Pensionsverpflichtungen haben in ihren Belastungswirkungen in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Das Volumen der Pensionsrückstellungen wächst (ceteris paribus) zum einen wegen der steigenden Lebenserwartung der Rentner; zum anderen nimmt der Barwert der Verpflichtungen wegen abgesenkter Zinssätze ebenfalls zu. Die zur Finanzierung der Pensionszahlungen benötigten Kapitalerträge sinken dagegen tendenziell. Es wird ein strukturelles Bewertungs- und Finanzierungsdilemma bei einem zentralen Baustein der betrieblichen Altersversorgung in Deutschland sichtbar. Der Handelsgesetzgeber hat der andauernden Niedrigzinsphase zwischenzeitlich im „Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie und zur Änderung handelsrechtlicher Vorschriften“ vom 11.03.2016 Rechnung getragen. Konkret werden Pensionsrückstellungen künftig mit dem durchschnittlichen Marktzinssatz aus den vergangenen zehn statt sieben Geschäftsjahren abgezinst. § 6a EStG als gesetzliche Grundlage für die Bewertung in der Steuerbilanz wurde mit Wirkung ab 01.01.2018 zuletzt durch das „Gesetz zur Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie“ vom 21.12.2015 geändert. Es sollen vor allem die Bedingungen für den Erwerb und die Wahrung von Zusatzrentenansprüchen verbessert und Hindernisse, die der Freizügigkeit zwischen den Mitgliedstaaten im Hinblick auf ihre Pensionsleistungen entgegenstehen, abgebaut werden. Der in der heutigen Niedrigzinsphase zunehmend problematische Diskontierungszinssatz von 6 % ist dagegen seit seiner Einführung in 1981 unverändert geblieben. Steuerbilanziell werden deshalb Pensionslasten strukturell unterdotiert Insoweit zahlen die Unternehmen Er tragsteuern auf Scheingewinne.
Einen großen Teil der Diskussionen in der Praxis und auch in den Betriebsprüfungen nimmt darüber hinaus die Abgrenzung zwischen Verbindlichkeitsrückstellungen auf der einen Seite und steuerlich nicht zulässigen Drohverlustrückstellungen auf der anderen Seite ein. Wichtig sind in diesem Zusammenhang vor allem folgende Aspekte:
- Aufwandswirksame Verbindlichkeitsrückstellungen müssen aus der Perspektive des Bilanzstichtags einen „Vergangenheitsbezug“ aufweisen; sie müssen vor dem Bilanzstichtag rechtlich entstanden, zumindest wirtschaftlich verursacht sein, verbunden mit möglicherweise zusätzlicher Ungewissheit hinsichtlich ihrer Höhe.
- Bevor auf der Passivseite der Bilanz eine (Verbindlichkeits-)Rückstellung zum Ansatz kommen kann, ist auf der Aktivseite bei eventuell bestehenden Vermögensgegen-ständen eine außerplanmäßige Abschreibung wegen voraussichtlich dauernder Wertminderung zu prüfen.
- Für in künftigen Wirtschaftsjahren als Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts zu behandelnde Aufwendungen besteht sowohl in Handels- als auch in Steuerbilanz ein Rückstellungsverbot.
Bei der Bildung von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten kommt es am Bilanzstichtag auf die Frage nach der rechtlichen und wirtschaftlichen Verursachung an. Auch wenn eine Rückstellung aufgrund öffentlich-rechtlicher Verpflichtung ausscheidet, ist parallel möglicherweise wegen einer privatrechtlichen Verpflichtung eine Rückstellung zu passivieren. In einem aktuellen Fall (Urteil vom 9.11.2016, I R 43/15) ließ der BFH im Ergebnis eine Rückstellungsbildung im Falle eines Leasingvertrages für ein Flugzeug – kombiniert mit einer Übernahmeverpflichtung von Wartungsaufwendungen zu. Der Leasingnehmer hatte sich vertraglich gegenüber dem Leasinggeber zur Durchführung von Wartungen bzw. zur betriebszeitabhängigen Übernahme von Wartungsaufwendungen verpflichtet. Dies erfolgte durch Zahlungen von monatlichen Wartungsrücklagen-Garantiebeträgen oder der Stellung einer Bank-bürgschaft. Darin sieht der BFH einen Ausgleich für die Wertminderung eines Flugzeugs aus typischerweise auftretenden Ermüdungs- und Abnutzungserscheinungen. Der Leasingnehmer konnte sich diesen Aufwendungen auch nicht durch Aufgabe des Flugbetriebs oder Kündigung des Leasingvertrags entziehen, denn ein Anspruch auf Rückerstattung gezahlter Beträge oder ein Verzicht auf die Inanspruchnahme der Bankbürgschaft bestand nicht. Die monatlich entstehende Verpflichtung zur Zahlung der Wartungsrücklagen-Garantiebeiträge ist daher wirtschaftlich in der Vergangenheit verursacht und insoweit rückstellungsfähig.
Die Vielfalt der in der Bilanzierungspraxis auftretenden Rückstellungsfragen ist immens. Häufig erfolgt die Rückstellungsdiskussion im Interessenwiderstreit von Bilanzierendem, Abschlussprüfer und Finanzverwaltung. Man muss sich in diesem Zusammenhang klarmachen: Rückstellungen haben zwar „unsicherheitsbedingtes Gestaltungspotenzial“, im Kern handelt es sich aber um „ungewisse Verbindlichkeiten“, die zumindest mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine sachgerecht zu quantifizierende betriebliche Last begründen und deshalb als „Schuldpositionen“ Eigenkapital und Gewinn reduzieren. Aus Sicht des Unternehmers ist dringend eine angemessene Dokumentation von Grund und Höhe der Rückstellungsbildung zu empfehlen – sowohl im Hinblick auf die Betriebsprüfung als auch auf die Abschlussprüfung.
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